Agile Methoden in der Behörde: Chance und Herausforderung
Vertrauen, Verantwortlichkeit – und Fehlerkultur!
Das ITZBund setzt nicht nur in der Softwareentwicklung immer öfter agile Methoden ein. Andere Bereiche unserer Behörde arbeiten ebenfalls immer flexibler. Bei allen Chancen gilt es, mit den Herausforderungen agiler Arbeitsweisen in der öffentlichen Verwaltung umzugehen.
20. September 2023
Ein Beitrag von Holger Lehmann, Leiter des Leitungsstabs und Pressesprecher ITZBund
30 Jahre Tätigkeit in der Verwaltung, 15 davon auf Bundesebene: Ich bin, wenn man so will, „gelernter“ Beamter. Das ITZBund ist meine vierte Behörde. In diesen drei Jahrzehnten habe ich viele Veränderungen in der Arbeitswelt erlebt. Eine davon ist der Trend zum agilen Arbeiten: ein Phänomen, das auf den ersten Blick nicht wirklich zur Verwaltung passt – aber auch immense Chancen bietet.
Projektarbeit neu denken
Als IT-Dienstleister der Bundesverwaltung arbeitet das ITZBund tagtäglich parallel an rund 500 Projekten. Viele davon finden in klassischer Projektform statt, eingebettet in eine Linienorganisation – die klassische Form der Behörde. Es liegt in der Natur unserer Aufgaben, dass wir – ähnlich wie viele Privatunternehmen – eine klar definierte Schnittstelle zum Kunden haben. Mitarbeitende der Verwaltung, aber auch Bürgerinnen und Bürger profitieren von vielen unserer Projekte. In den vergangenen Jahren haben wir uns deswegen immer mehr nach ihren Bedürfnissen ausgerichtet und dabei gelernt: Wir brauchen in unseren Projekten eine noch stärkere Nutzerzentrierung – und genau da liegen die großen Chancen agiler Arbeit.
Auch in der Verwaltung haben wir in den vergangenen Jahren außerdem festgestellt: Klassische Wasserfallmodelle im Projektmanagement, die lange „state of the art“ waren, stoßen zunehmend an ihre Grenzen. Sie sind sehr genau, brauchen aber auch viel Zeit: Von der Erstellung erster Lasten- und Pflichtenhefte über Planung und Produktion bis zur fertigen Lösung vergehen oft mehrere Jahre. Im Extremfall existiert das ursprüngliche Problem schon gar nicht mehr, wenn das Projekt abgeschlossen ist – gerade im schnelllebigen IT-Bereich. Unser Umfeld verändert sich ständig. Wir müssen flexibler arbeiten, unsere Projekte stärker, früher und öfter mit den Ansprüchen unserer Kunden abgleichen. Deshalb stellen wir viele unserer Prozesse und Strukturen auf agile Vorgehensweisen um. Auch wir wollen von flacheren Hierarchien und dezentralen Entscheidungsprozessen profitieren – begegnen dabei aber auch besonderen Herausforderungen.
Das Rechtsstaatsprinzip ist oberstes Gebot unserer Arbeit
Zwischen den Prinzipien agiler Arbeit – Flexibilität, flache Hierarchien, iteratives Vorgehen – und dem „Prinzip Behörde“ gibt es einige grundsätzliche Widersprüche. Diese lassen sich auch nicht vollständig auflösen. Die Verwaltung ist Teil der Exekutive und damit – das besagt das Rechtsstaatsprinzip – an die geltenden Gesetze gebunden. Einfach gesagt: Die Exekutive stellt die Regeln nicht auf, sondern wendet sie an und hält sie ein. Deshalb spielen Kontrollmechanismen bei uns eine große Rolle: Am Ende haben die Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf, dass Entscheidungen, die aus der Verwaltung kommen, rechtmäßig sind. Unsere Projektteams, aber vor allem die Lösungen, agil oder nicht, müssen diese Anforderung stets erfüllen. Deswegen brauchen wir Spezialistinnen und Spezialisten: Wer kennt sich zum Beispiel schon mit Auftrags- und Vergaberecht aus, überblickt außerdem noch IT-Sicherheit und hat dann noch den Überblick bei Verwaltungsverfahrensgesetzen? Trotzdem sind wir uns bewusst: Auch innerhalb der hierarchischen Strukturen von Behörden ist Platz für mehr Flexibilität.
Wo bringt Agilität uns weiter?
Viele Verwaltungsakte sind von stark strukturiertem Vorgehen geprägt: Ein Kindergeldantrag oder eine Baugenehmigung funktionieren immer nach den gleichen Prinzipien. Und so ist es auch gut und richtig. Andere Bereiche bieten wiederum einen großen Spielraum für Flexibilität: Der Leitungsstab beim ITZBund, den ich seit mehr als vier Jahren führe, ist zum Beispiel eine sehr agile Einheit. Wir sind fast täglich mit neuen Anliegen konfrontiert, für die es keine Standardprozesse gibt. Ich schenke meinen Mitarbeitenden Vertrauen, Entscheidungen zu treffen. Und nicht nur in der Projektarbeit, auch in den Gremien versuchen wir aktuell, zunehmend mehr Agilität umzusetzen und schneller und zielgerichteter Entscheidungen zu treffen.
Das klappt natürlich nicht von heute auf morgen, aber es gibt einige Grundprinzipien: Schnellere Prozesse funktionieren u. a. nur mit Delegation. Sie funktionieren nur mit Mitarbeitenden, die Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen wollen. Agilität braucht Teams, die sich untereinander absprechen, über den Tellerrand blicken und eigenständig arbeiten können. Behörden, die agiler werden wollen, müssen ihre Beschäftigten dazu befähigen und sich auch fragen, wie viele Entscheidungsebenen man für die Umsetzung eines Projekts tatsächlich braucht.
„Für agiles Arbeiten brauche ich Beschäftigte, die hungrig sind, Verantwortungen im Team zu übernehmen.“
Holger Lehmann, Leiter Leitungsstab und Pressesprecher ITZBund
Spagat zwischen Flexibilität und Verantwortlichkeit
Agiles Arbeiten erfordert Mut bei den Beschäftigten, den Glauben an die eigenen Fähigkeiten und Vertrauen der Führungskräfte in ihre Teams. Ein weiteres wichtiges Element agiler Arbeit ist die Fehlerkultur: Wer neue Prozesse ausprobiert, wird gelegentlich scheitern – das gehört dazu. Edison hat gesagt: „Man muss Ideen die Chance geben, sich zu verwirklichen“. Auch hier begegnen wir in der Verwaltung einer besonderen Herausforderung: Wir arbeiten in großen Maßstäben. Beim ITZBund zum Beispiel sind rund 4.200 Menschen beschäftigt, wir arbeiten 2023 mit einem Jahresbudget von knapp 1,5 Milliarden Euro. Wenn wir einen Fehler machen, der viel Geld kostet, müssen wir uns dafür verantworten. Wir arbeiten hier mit Steuergeldern. Wir brauchen also nicht nur Teams, die agil arbeiten können, sondern auch Menschen, die die Verantwortung dafür tragen, dass diese Arbeit funktioniert.
Dieser Spagat wird oft sehr vereinfacht dargestellt, nach dem Motto: Wenn die Verwaltung flexibler wird, wird alles gut. So einfach ist es aber nicht. Die Spielregeln der Verwaltung sind die Rechtsvorschriften und diese geben den Rahmen der Flexibilität vor. Wir müssen differenzieren: Kommunale, Landes- und Bundesbehörden haben unterschiedliche Aufgaben, die unterschiedlicher Arbeitsprozesse bedürfen: Wann entscheide ich mich für ein agiles Modell – und wann hat die klassische Projektform ihre Daseinsberechtigung? Ich kann sicher nicht so weit gehen und behaupten, dass wir beim ITZBund oder wir in der Verwaltung darauf immer die richtige Antwort hätten. Nach 30 Jahren als „gelernter Beamter“ kann ich aber sagen: Es hat sich schon einiges verändert. Ich bin mit vollem Herzen dabei und gespannt, was die kommenden Jahre bringen werden!
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